Rechter Hetze widersetzen!

9.11.15 – Redebeitrag zur Demonstration „Kein Montag wie jeder andere“

Posted: November 10th, 2015 | Author: | Filed under: General | Kommentare deaktiviert für 9.11.15 – Redebeitrag zur Demonstration „Kein Montag wie jeder andere“

Der 9.11. ist ein wichtiger Gedenktag: 1938, vor 77 Jahren erfolgten im ganzen Land organisierte Gewalt, Zerstörung und Mord gegen Jüdische Bürger*innen, gewachsen auf die Hetze des nationalsozialistischen Regimes. Diese grausamen Verbrechen dürfen niemals in Vergessenheit geraten.
Gerade Heute. Menschen rechter Gesinnung zeigen sich mit einer neuen Selbstsicherheit. Vielerorts finden ihre Fremdfeindlichkeit Anschluss und der Ruf nach Ausgrenzung wird laut. Systematische Diskriminierung, völkische Parolen und rechte Hetze sind dieser Tage keine Seltenheit mehr.
Ja, das betrifft momentan nur eine Minderheit. Aber es stell sich die Frage: Was ist mit dem Rest der Gesellschaft? Wo bleibt der breite Widerspruch, wo das entschlossene Entgegentreten? In Leipzig rotten sich bei Legida Woche für Woche etwa 500 selbsternannte „Besorgte Bürger“ zusammen. In ihren Reihen stehen zahlreiche Rechtsradikale. 500 bis 1000 Menschen protestieren wöchentlich dagegen. Und wenigstens ein paar Mal konnte der Aufmarsch verkürzt oder gar verhindert werden. Aber: In Leipzig wohnen weit über eine halbe Million Menschen. Die teilen sicher nicht alle die Ansichten Legidas. Ist ihre Resignation so groß? Herrscht allgemeines Desinteresse? Oder werden die Vorgänge nicht ernstgenommen?

Dresden, Heidenau, Freital, Magdeburg, Wismar… Die Liste der widerwärtigen Angriffe in diesem Jahr zählt mehr als 450 Einträge. Brandanschläge und gewaltsame Übergriffe gegen geflüchtete Menschen sind beinahe an der Tagesordnung. Deutschland hat keine „Flüchtlingskrise“: Deutschland erlebt eine rechte Krise!

Auf keinen Fall sollen die Gräuel des Nationalsozialismus verharmlost werden. Aber die Parallelen sind sichtbar. In Jahren des Geschichtsunterrichtes wurde dieses Thema nicht immer wieder behandelt, damit wir jetzt schweigend wegsehen. Nach den erneuten Pogromen geht die Frage an alle: Handeln wir dem Bedarf entsprechend? Wer wird das nächste Pogrom verhindern? Warum sind jetzt gerade nicht alle auf der Straße und zeigen den neurechten Hetzern eindeutig: „Nicht mit uns!“?

Momentan beherrschen Aussagen den öffentlichen Diskurs, die vor einigen Jahren aus gutem Grund noch unaussprechlich waren. Die Minderheit der geflüchteten Menschen, vor großem Leid geflohen und nur gegen erhebliche, oftmals lebensbedrohliche Widerstände hierhergelangt, wird als Feindbild herangezogen. Dies dient als Nährboden für Gruppierungen wie Pegida und angeschlossenen, die vormals diffus gegen den Islam wetterten und sich in ihrem kruden Mangeln an Menschlichkeit nun auf Geflüchtete Menschen eingeschossen haben. Mit ihrem völkischen Populismus versuchen sie, die Gesellschaft an ihre abartige Sicht zu gewöhnen, dabei Schüren sie Angst und Wut mit dem Ziel, Ausgrenzung und Gewalt gegen alle zu legitimieren, die nicht in ihr nationalistisches Weltbild passen.

Nach zahlreichen Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte mutmaßen Behörden, eine ausländerfeindliche Motivation sei „möglicherweise nicht ausgeschlossen.“
Gleichzeitig beschließt der Bundestag eine unsägliche Verschärfung der Asylgesetze und entrechtet damit pauschal eine Gruppe hilfsbedürftiger Menschen. Spricht dabei von Grenzen der Integration und fördert damit implizit das Bild, geflüchtete Menschen seien die Schuldigen. Ein Armutszeugnis für eines der wohlhabendsten Länder der Welt.

Gerade tritt lediglich zu Tage, was latent schon seit Jahren schlummert. Denn die angesprochenen Probleme betreffen die gesamte Struktur dieser Gesellschaft, und wir nehmen auch uns nicht davon aus. Immer noch gelten Menschen als verschieden viel Wert. Wer vor 40 Jahren Menschen aus der DDR in die BRD schmuggelte, wird heute als Held gefeiert. Wer heute das gleiche mit Geflüchteten tut, wird kriminalisiert, mit dem Freiheitsentzug bedroht. Denn es sind ja keine Deutschen Mitbürger, die es da über die Grenzen schaffen.

Zurück nach Leipzig:
Die Einschränkungen bei der Anmeldung von Versammlungen, der oft schlechter Zugang und die weiten Wege. Gleichzeitig der sichere Zugang für Legida-Teilnehmer von allen Seiten, durch Gegenkundgebungen hindurch. Die unvollständige Regelung des Verkehrs und teilweise Umleitung durch den Protest. Pauschale Durchsuchungen, Kontrollen, Identitätsfeststellungen und Platzverweise gegen alle, die nach Aktivisten aussehen. Das ständige Abfilmen des Gegenprotestes. 4400 Polizisten in der Stadt, nach dem Legida wahnwitzige 100.000 Demonstranten angekündigt hat. Jedes Mal der kreisende Polizeihubschrauber, neuerdings ein aufgefahrener Wasserwerfer. Die Abschirmung und Einschüchterung von Vertretern der Presse und der Demobeobachtung. Die öffentliche Diffamierung der Protestierenden als potenziell gewaltbereit. Die Mangelnde polizeiliche Präsenz gegen frei in der Stadt herumlaufende Truppen von Hooligans. Die vollständige Einzäunung der Legida-Route mit Hamburger Gittern, die 10 Meter breite Schutzzone, die Wand aus Polizeibussen und immer kleinere Flächen, die Protest in Sicht- und Rufweite verhindern. Die Toleranz für die Ausübung von Hitlergrüßen und Vermummungen auf Seiten Legidas.
Das rabiate Vorgehen der Polizei, das Geschubse, Geschreie und Gestürme. Das Abdrängen vor Straßenbahnen. Tritte, Knüppel und Pfefferspray gegen Sitzblockaden. Ein aus dem Legida-Mob getretener Böller wird von Polizisten in die Menge der Gegendemonstranten getreten. Ein Demonstrant wird mit voller Wucht gegen einen Pfeiler geschleudert und dann halb besinnungslos zu Boden geworfen. Eine Sitzblockade wird von der Pferdestaffel durchritten. Eine Gruppe von 30 Hooligans mit Holzlatten greift Gegendemonstranten im Leipziger HBF an, die gerade aus Dresden zurückkehrt sind. Dabei ein bekannter Neonazi mit gezücktem Messer. Die Liste geht noch weiter.
Diese gesammelten, teils skandalösen Eindrücke aus 10 Monaten des Protests führen uns zu der Ansicht: In Leipzig kommt es zur systematischen Unterdrückung des Gegenprotestes. Friedlicher Aktionismus gegen eine offen rassistische Gruppe von Hetzern wird erschwert, kriminalisiert und teils gewaltsam beiseite geräumt. Gleichzeitig wurde und wird Legida bevorzugt behandelt, ja geradezu der Weg bereitet. Eigentlich ein Skandal. Wir sehen leider nicht, dass es die nötige kritische Öffentlichkeit gäbe.
Trotzdem soll auch an dieser Stelle den positiven Erfahrungen der gebührende Platz eingeräumt werden. Es ist ermutigend zu sehen, dass es eine Demonstrationskultur in unsere Stadt gibt, dass Menschen auf die Straße gehen und ihre Haltung für eine heterogene Gesellschaft bekunden. Ein Moment an den wir dabei gerne denken: Hunderte beteiligte Menschen sitzen friedlich auf der Straße, die Marschroute wird abgesagt. Und durch die Straßen schallt es: „LEGIDA? LÄUFT NICHT!!!“

Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Effektiver Protest ist wichtig und er ist möglich. Umso leichter, je mehr Menschen teilnehmen. Es ist an uns allen! Doch Widerstand ist nur ein Aspekt. Genauso gilt es, Bewusstsein zu schaffen und eine kritische Öffentlichkeit zu stärken. Support darf nicht an der eigenen Bequemlichkeit scheitern. Es bedarf der Inhaltlichen Auseinandersetzung genauso wie der gelebten Solidarität; in der gesamten Gesellschaft! Damit jeder weiß: Legida? Läuft Nicht!
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!


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